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Gracie

Gracie | 21 | Studentin aus Los Angeles

Auf NEON.de:
„Mein Vater war Keyboarder bei den Spice Girls“


Wofür gibst du dein Geld aus?
Haschisch und Essen. Leider wenig verantwortungsbewusst. Manchmal für Kleidung.

Das ist ein ziemliches Neunzigerjahre T-Shirt, was du da trägst. Absichtlich?
Schon. Ich habe das Gefühl, die Neunziger haben mich schon immer angezogen. Grunge. Hip-Hop. Der Kleidungsstil, die Musik und überhaupt der Vibe dieser Zeit.

Woher kommt diese Anziehung?
Bestimmt spielt es eine Rolle, dass meine Eltern sehr jung waren, als ich geboren wurde. Ich schaue mir gerne Bilder von ihnen aus den Neunzigern an. Es inspiriert mich, wie sie aussahen und was sie anhatten. Mein Vater ist Musiker und hat damals Keyboard für die Spice Girls gespielt. Mit vier oder fünf dachte ich, das sei das Allercoolste. Es kam mir vor, als wollte dieser Style, sowohl der meiner Eltern als auch der der Spice Girls, mir etwas sagen. Ich war total fasziniert von den Spice Girls.

Bist du es immer noch?
Naja, Spice Girls vielleicht nicht mehr. Ich war wirklich klein. Aber Neunziger auf jeden Fall. Pavement und Aaliyah gehören immer noch zu meinen Lieblingsmusikern.

Du bist 21. Fühlst du dich jung?
Die meiste Zeit schon. Aber ich habe Momente, an denen ich denke: Shit, ich bin bereits in meinen Zwanzigern. Und wenn ich das nächste Mal daran denke, kommen schon die Dreißiger und dann Vierziger. Aber das sind wie gesagt nur Momente.

Spürst du Druck?
Durchgehend. Vor allem in einer Stadt wie New York, in der Menschen meines Alters bereits großartige Projekte machen, die coolsten Jobs neben der Uni haben und an ihrer Kunst oder Musik arbeiten. Ich weiß nicht, was ich machen möchte oder wo ich hingehöre. Der Druck kommt von mir selbst. Aber unterbewusst natürlich auch von Anderen, die bereits weiter sind.

Was bedeutet es für dich, erwachsen zu sein?
Allein sein zu können und dabei glücklich zu sein. Oder im ersten Schritt, das Alleinsein überhaupt aushalten zu können.

Klappt das gerade gut?
Die meiste Zeit eher nicht. Ich lerne es noch, zufrieden oder sogar glücklich mit mir selbst zu sein. Also ja, laut dieser Definition könnte man vielleicht sagen, ich bin auf dem Weg erwachsen zu werden.

Kannst du etwas mit dem Begriff Millennials anfangen, der auf deine Generation neuerdings angewendet wird?
Sehr viel sogar. Ich glaube, ich bin ein Millennial. Für mich bedeutet es, dass wir nicht wissen, wie wir funktionieren und Beziehungen aufbauen sollen ohne all die sozialen Plattformen, die wir hundertmal an Tag benutzen. Ich glaube, wenn unsere Twitter- und Instagram-Konten sowie WhatsApp-Gruppen morgen abgeschaltet würden, wir wüssten erst mal nicht, was wir tun sollten.

Was verbindet euch darüber hinaus?
Mit meinen Freundinnen verbindet mich vor allem das Interesse an feministischen Themen. Ich studiere Gender Studies und befasse mich mit Feminismus. Das andere, was unsere Generation bestimmt, ist unsere Beziehung zur Celebrity-Kultur und zum globalen Kapitalismus.

Würdest du dich als Feministin bezeichnen?
Ja, klar! Aber ich möchte nicht nur aus eigener Erfahrung argumentieren. Ich will wissen, wovon ich rede und die Dinge, die Frauen heute immer noch im Alltag passieren, verstehen. Was mich wirklich krank macht, sind die vielen versteckten Kommentare aber auch die großen sichtbaren Ungerechtigkeiten, mit denen Frauen täglich umgehen müssen. Der Begriff Feminismus wird oft abfällig benutzt, das ist mir aber egal. Ich nenne mich Feministin.

Welches ist das nervigste Klischee, mit dem du als Frau konfrontiert bist?
Das begegnet mir immer, sobald ich ärgerlich werde: Manche Männer versuchen dann, mich mit dem herablassenden Hinweis zu beruhigen, ich sei irrational, emotional und hysterisch. Das macht mich nur noch wütender, denn dieser Vorwurf wurde immer schon als Instrument gegen Frauen verwendet. Dabei werden Männer genauso wütend und irrational. Aber Frauen wird dann immer gern unterstellt, sie hätten ihre Periode.

Wann wurdest du dir deiner Weiblichkeit und Sexualität bewusst?
Ich war ungefähr 13. Auf einmal begann ich, Jungs zu bemerken und begriff, dass sie mich auch interessant fanden. Sie schauten mich an und wollten mit mir sprechen! Bis dahin hatte ich mich noch nie rasiert und auch keinen BH getragen. Ich begann, für die Jungs bestimmte weibliche Verhaltensweisen anzunehmen, kaufte BHs und einen Rasierapparat.

Ist es dir wichtig, dich sexy zu kleiden?
Es gibt Tage, da fühle ich mich sehr sexy und möchte das auch zeigen. Mal mit einem eher jungenhaften Outfit, an anderen Tagen offen sexy. Dann genieße ich es, meinen Ausschnitt zu zeigen, sowie meinen Hintern und meinen Bauch, beides Körperteile, die ich an mir mag. Meine Arme und Beine finde ich nicht so gut. Aber ich kann mit ihnen leben.

Gefällt es dir, wenn Männer dich anschauen?
Manchmal schon, klar. Doch es gibt auch Momente, da fühle ich mich sehr unwohl, fast wie ausgenutzt, wenn ich angeschaut werde. Es kommt vor, dass ich etwas Körperbetontes trage und trotzdem nicht angeschaut werden möchte.

Hast du momentan einen Freund?
Ja, aber es ist kompliziert. Es ist eine On-Off-Beziehung. Doch er ist meine große Liebe, und ich bin noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen und ohne ihn zu leben.

Wie lange kennt ihr euch schon?
Wir trafen uns im Summer Camp in Los Angeles, als ich 17 war, also vor vier Jahren. Zu Beginn waren wir nur gute Freude. Irgendwann haben wir uns ineinander verliebt. Doch in den letzten Jahren sind wir jeweils zu unterschiedlichen Zeiten fremdgegangen. Wir haben uns betrogen. Viel Vertrauen ist kaputtgegangen. Nach all den Verletzungen und dem Chaos können wir gerade mit dem Schmerz nicht mehr dealen. Wir haben deswegen fürs erste beschlossen, uns treu zu sein. Es erscheint uns im Moment einfacher: jemanden zu haben, der loyal ist und auf den man sich verlassen kann. Jemand, der dich nicht verletzt.

Das klappt?
Natürlich ist es schwer, Vertrauen aufzubauen, nachdem so viel Shit passiert ist. Aber es lohnt sich für uns. Da wir eine Fernbeziehung führen – Los Angeles/New York – sind wir emotional häufig an verschiedenen Orten. Wir sind ohnehin beide eifersüchtig und jetzt gerade besonders. Die Entfernung macht es nicht gerade einfacher. Ich wünschte, ich wäre nicht eifersüchtig. Zudem sind wir beide Co-Abhängig.

Irgendwie sprechen gerade in New York viele Frauen über ihre Beziehungen als Co-Abhängigkeit. Was bedeutet der Begriff für dich?
Wir sind beide ungesund abhängig von einander. Es fühlt sich an, als wäre man ein Süchtiger, ständig, der Kopf kann sich nie ausruhen. Viele Gedanken kreisen um Eifersucht. Was macht er, wo ist er, mit wem? Es schwächt dich so sehr, ich hasse dieses Gefühl.

Denkst du, dass Ehrlichkeit immer der beste Weg ist?
Ich würde gern ja sagen, weil es für mich das Wichtigste ist, dass mir die Wahrheit gesagt wird. Das ist wie eine Obsession. Es gibt nichts Schlimmeres, als im Dunkeln zu tappen und erst später alles herauszufinden. Ich will lieber alles wissen und leiden, als angelogen zu werden. Natürlich kann Unwissenheit ein Segen sein. Und möglicherweise gibt es auch Dinge, die besser ungesagt bleiben. Ich möchte gerne glauben, dass man mich so schnell nicht zum Narren halten kann, aber wahrscheinlich ist es komplizierter als das.

Glaubst du trotzdem, dass Beziehungen ein Leben lang halten können?
Ja, total.

Das letzte Bild, das du mit deinem Handy aufgenommen hast?
Letzte Nacht habe ich viele Selfies von meinem betrunken Ich gemacht.

Hast du sie gepostet?
Nein! Meine Augen sehen gut aus, aber die Bilder sind absolut nicht zum Posten geeignet.

März 2016, New York City