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Olivia

Olivia | 20 | Studentin der Sozialen Arbeit in Berlin

Auf NEON.de:
"Was mir passiert ist, nenne ich seit kurzem sexuelle Nötigung"


Welchen Anmachspruch kannst du nicht mehr hören?
Ich hatte noch nie was mit einer Rothaarigen. Gähn. Ok, dann suchen wir eine für dich.

Hast du schon mal einen Orgasmus gefaked?
Nein.

Sicher?
Ja, wozu denn faken? Klar habe ich schon mal ein Geräusch zu viel gemacht. Aber ich spiele nichts vor, wenn es nicht so geil war.

Hast du eine wiederkehrende Dunkelheit?
Ein Teil von mir ist sehr triebhaft. Da ist so eine Art böses Mädchen in mir, und wenn es die Kontrolle übernimmt, dann spiele ich gern. Nicht, dass ich dann wirklich etwas anzettle, aber ich denke darüber nach.

Wie äußert sich das?
Es gibt Momente, da ist mir alles andere egal. Bei meiner Lieblingsautorin Juli Zeh habe ich mal eine Erklärung dafür gefunden. In ihrem Buch „Spieltrieb“ geht es nämlich genau darum: Junge Menschen testen ihre Grenzen aus. Ich habe alle ihre Bücher gelesen, jedes behandelt auf eine Art ein moralische Dilemma: Lügen, Betrügen, wer spielt mit wem, wer gewinnt?

Kennst du den emotionalen Kater nach einer alkoholreichen Nacht?
Ich kenne Scham. Wenn ich betrunken bin, bin ich noch freizügiger als eh schon: Ich tanze gern, ziehe mich dabei aus, knutsche herum. Es passiert mir schon, dass ich am nächsten morgen denke: Oh Gott, das war wild und slutty.

Wie viele Spitznamen hat eine Frau mit deinen Haaren?
Keinen. Deshalb habe ich mir kürzlich selbst einen gegeben. Im März bin ich für ein Praktikum nach Wien gezogen und habe mich allen neuen Menschen in meinem Leben als Lola vorgestellt. Für diese nächsten Monate dort wollte ich eine andere Person sein.

Wie unterscheidet sich denn Lola von Olivia?
Ich glaube, Lola ist spontan und offen. Sie hat noch nicht so viele Freunde in der neuen Stadt und kann deswegen öfter ja sagen.

Hast du eine Meinung zu Donald Trump, die wir alle nicht haben?
Ich glaube, ich habe die Meinung, die die meisten haben: genervte Sprachlosigkeit. Und vor allem Wut. Wie kann man so einer Person eine so große Plattform geben? Warum darf der sich so ausleben?

Wie oft googelst du dich am Tag?
Nie. Dafür google ich häufig meinen Vater. Das ist nämlich echt lustig.

Was nervt dich bei anderen?
Wenn sie mich nach meinem Äußeren beurteilen oder mich für arrogant halten. Was ziemlich oft passiert. Schlimm ist es auch, wenn ich merke, dass Leute meine kurzen Röcke und hohen Schuhe als Zeichen dafür missverstehen, ich sei leicht zu haben. In welcher Zeit leben wir bitte, dass die Rocklänge über meine sexuelle Verfügbarkeit Aufschluss gibt? Ich bin aus der Kleinstadt weggezogen und habe gedacht, jetzt bin ich endlich in Berlin, damit einem dieser Kack nicht mehr passiert. Manchmal glaube ich, es hat sich nichts geändert.

Hast du viele Affären?
Nein.

Datest du gerade jemanden?
Ich habe einen Lover in Berlin, dem ich treu bin.

Was bedeutet das: einen Lover zu haben?
Darüber habe ich auch viel nachgedacht. Mit ihm bedeutet es bis jetzt, dass wir auf allen Ebenen intim miteinander sind und trotzdem jeder sein eigenes Leben führt. Ich hatte bisher immer das Gefühl, ich bräuchte jemanden, weil die Gesellschaft so konzipiert ist. Wenn man schon nicht in einer Beziehung ist, dann soll man zumindest nach einer suchen. Doch ich will gar nicht suchen. Ich will: Er oder sie sieht mich, ich sehe ihn oder sie. Wenn mir jemand gefällt, gehe ich einfach hin.

Sagtest du gerade sie?
Ich stand schon auf Frauen, bevor ich mich für Männer interessierte. Ehrlich gesagt finde ich Frauen sogar anziehender als Männer, aber verliebe mich seltener in sie.

Weißt du warum?
Bisher war es mit allen Frauen, die ich mochte, sehr kompliziert. Daten mit Frauen ist so schwierig! Ich habe zweimal mit einer Frau geschlafen und beide Male war es so unfassbar toll, aber nur durch Zufall passiert. Ohne Kino, ohne essen gehen, also kein richtiges Date, keine Romantik. In eine Frau war ich sogar heftig verliebt, doch sie hat nur krass mit mir gespielt. Ausgelöst durch diesen kleinen Liebeskummer hatte ich dann mein Coming-Out vor meiner Mutter.

Und wie war das mit der zweiten Frau?
Das war ein Dreier bei meiner Abschieds-Party in Berlin, bevor ich nach Wien gegangen bin.

Drei Frauen?
Nein, ein Mann und eine Frau. Ich wollte aber nur sie. Unbedingt. Der Mann hat einfach nur Glück gehabt.

Gibt es Wartezeiten, Leerlauf oder Unfälle bei so einem Dreier?
Wir lagen alle drei in meinem Bett. Es war irre spät, alle hatten schon etwas getrunken. Ich weiß nur noch, dass es großartig war. Und wie sinnlich und sexy mir meine Freundin vorkam. Ich neige zu dem zwanghaften Verhalten, alles in Gedanken noch mal durchzugehen – wieder und wieder – doch nach dieser Nacht war alles gut.

Wie kam der Mann zum Einsatz?
Er hat mit uns beiden geschlafen.

Du sagst aber, du bist deinem aktuellen Lover treu. Also keine anderen Männer und keine anderen Frauen?
Nein, nur keine anderen Männer. Frauen würde ich mir niemals verbieten lassen.

Hast du schon mal Online-Dating ausprobiert?
Ich habe mich einmal mit einer Frau über Tinder getroffen. Doch es war von vornherein nur freundschaftlich. Und mit einem Mann hatte ich eine sehr schlechte Erfahrung, danach habe ich Tinder gelöscht.

Was ist passiert?
Ich hatte eine schlimme letzte Beziehung. Mein Freund war ein toller Mensch, doch psychisch nicht stabil. Viel Gras, viel Hängenbleiben. Meine ganze Energie blieb bei ihm. Nach der Trennung wollte ich mich ablenken. Mehr oder minder neu in Berlin, habe ich Tinder runtergeladen. Es haben sich viele Idioten gemeldet. Und dann kam das Match mit dem Typen mit den Grübchen. Er hat mir gut gefallen, er hatte auf den Bildern einen richtig schönen Mund. Sein ganzes Gesicht sah dadurch zart und schön aus. Mit ihm habe ich länger geschrieben. Ich wollte mich absichern, ich laufe nachts ja auch nicht alleine durch den Park. Dafür habe ich ein Bewusstsein, das habe ich von meiner Mutter gelernt. Alles war total nett.

Aber?
An jenem Abend wollten wir essen gehen. Das Restaurant war voll, und er sagte, wir könnten ja auch bei ihm eine Pizza essen. Ich dachte mir ok. Erst mal haben wir uns super nett unterhalten. Irgendwann hat er krass aufgedreht und fing an mich zu bedrängen. Er tat Dinge, die ich nicht wollte. Das hat mich eine zeitlang ziemlich belastet. Ich hatte lange kein Wort für diese Nacht.

Und jetzt?
Seit kurzem benutze ich das Wort Nötigung. Vergewaltigung trifft es nicht so ganz. Das wäre unpassend Frauen gegenüber, die wirklich vergewaltigt wurde. Was ich erlebt habe, war ein Mann, der wenig Kontrolle über sich selbst hatte und scheinbar überhaupt keine Ahnung, was er bei anderen anrichtet. Danach hatte ich längere Zeit Probleme mit Männern. Ich wollte keinen sexuellen Kontakt mehr zu ihnen. Ich verkrampfte und zog sofort meine Schultern hoch.

Du hast aber kein Problem öffentlich darüber zu sprechen?
Mir geht es wieder gut. Mit Online-Dates bin ich durch. Wenn mir heute jemand gefällt, gehe ich hin. Und ja, ich finde es wichtig, zu erzählen, was mir passiert ist.

April 2016, Berlin