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Soraya

Soraya | 29 | Online- und Engagement Managerin in Berlin

Auf NEON.de:
"Man glaubt, die Liebe kommt mit der Zeit."


Wie nennst du dich selbst? Afghanin oder Deutsche?
In Deutschland Afghanin, im Ausland Deutsche.

Was ist das Afghanischste, was das Deutscheste an dir?
Das Afghanischste: sicher meine Kochkünste. Das Deutscheste: meine Direktheit.

Lieber einen Damenbart oder dünnes blondes Haar?
Auf jeden Fall Damenbart. Es gibt sehr gute Waxing-Studios in Berlin.

Was unterscheidet dich als Deutsch-Afghanin von anderen in Berlin lebenden 29-Jährigen?
Ich habe meinen Eltern vergangenes Jahr erzählt, dass ich einen deutschen Freund habe. Vor ein paar Wochen auch meiner afghanischen Verwandtschaft in Deutschland. Das hat mich viel Kraft gekostet.

Was genau?
Traditionell heiratet eine afghanische Frau – egal, wo sie auf der Welt lebt – einen afghanischen Mann. Diese Ehe wird von den Eltern arrangiert. Lange Zeit wollte ich einfach das Richtige im Sinne meiner Kultur tun, weil ich es für meine Pflicht hielt. Inzwischen aber weiß ich, dass eine arrangierte Ehe für mich nicht in Frage kommt.

Wie haben deine Eltern reagiert?
Für meine Eltern war meine Entscheidung ein Schock, da ich gegen die Tradition verstoße. Die erste Reaktion meiner Mutter werde ich nie vergessen. Auf ihren erschrockenen Blick folgte ein deutsches „Ach du Scheiße“ – obwohl wir eigentlich immer in Dari miteinander sprechen. Nach ein paar Tagen hat sie sich für ihr Verhalten entschuldigt. Ein Treffen zwischen meinem Eltern und meinem Freund ist aber in den letzten zwölf Monaten trotzdem noch nicht zustande gekommen.

Gab es auch andere Reaktionen?
Meine Cousine hat sich bei mir für meinen Mut bedankt. Sie sagte, mit meiner Entscheidung hätte ich den Weg für ihre Tochter und andere Mädchen aus unserer Familie geebnet: das vielleicht auch sie sich einfach nur verlieben und für einen Mann entscheiden können. Ohne Vorgaben, welche Nationalität er haben muss und vor allem, ohne sofort heiraten zu müssen. In dem Moment wusste ich, dass ich meine Geschichte erzählen möchte.

Hat eine arrangierte Ehe etwas mit der Religion der Väter zu tun?
Nein. Zumindest nicht bei uns. Mein Vater ist ein freidenkender Mensch und nicht religiös. Er glaubt an Modernisierung, Säkularisation und vor allem an die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Und deine Mutter?
Meine Mutter ist eine überzeugte Muslimin, die aber nie ein Kopftuch getragen hat. Religion war für sie schon immer etwas sehr Persönliches; etwas, dass nicht nach außen sichtbar sein musste. Bis heute fühlen meine Eltern sich in Deutschland wohl. Sie mögen das Liberale und Demokratische hier – und die Deutschen.

Warum wünschen deine Eltern sich dann eine arrangiere Ehe für dich?
Das ist seit Jahrhunderten in unserer Kultur Tradition. Meine Mutter glaubt, egal wie scheiße afghanische Männer sind, immerhin lassen sie dich nicht sitzen. Von deutschen Männern denkt sie, dass sie gehen, sobald es Probleme gibt.

Männer verlassen Frauen auf der ganzen Welt. Ich glaube kaum, dass Afghanen anders sind.
Klar gibt es auch unter Afghanen Scheidungen. Das kam auch schon in meiner eigenen Familie vor. Für einen traditionell lebenden Afghanen bedeutet eine Scheidung jedoch Gesichtsverlust. Man ist gescheitert. Wenn wir aber über Klischees reden, dann würde ich sagen, dass man afghanische Männer gar nicht mehr los wird.

Woher dann diese Illusion der perfekten afghanischen Ehe?
Dadurch, dass Eheschließungen oft innerhalb des eigenen Familien- und Freundeskreises stattfinden, existiert der Irrglaube, dass es nicht zu Enttäuschungen und Dramen kommen wird.

Wofür steht die Ehe?
Die afghanische Kultur kennt keine uneheliche Liebesbeziehung. Nur das arrangierte Heiraten durch die Eltern. Ehe bedeutet hautsächlich Sicherheit und Fortpflanzung. Die Liebe steht erst an dritter Stelle. Man muss hierzu aber sagen, dass es auch afghanische Verbindungen gibt, bei denen sich die Leute an der Uni kennenlernen, verlieben und dann halt schnell heiraten, damit sie zusammen sein können.

Bei einer arrangierten Ehe aber hofft man, dass sich die Liebe schon irgendwann einstellen wird?
Ja. Man glaubt, die Liebe kommt mit der Zeit. Das ist zumindest die Überzeugung der meisten.

Kennst du afghanische Ehen, bei denen die Liebe niemals kam?
Ja. So einige.

Wann hast du den ersten Antrag für eine arrangierte Ehe bekommen?
Seit ich 18 bin, bekomme ich Anträge. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.

Wie läuft das ab?
Antrag heißt, dass die Eltern des Jungen, meist Verwandte oder Verwandte von Verwandten, meine Eltern anrufen und fragen, ob man was arrangieren könne.

Bedeutet Arrangieren gleich eine Hochzeit oder erst Kennenlernen?
Immer erst ein Kennenlernen. Enge Verwandte kamen zum Essen. Entfernte Verwandte und Bekannte zum Teetrinken. Alles fand immer bei uns zuhause statt. Die potentiellen Ehemänner kamen in Begleitung ihrer Eltern für ein erstes Beschnuppern.

Was genau sollte dabei eruiert werden?
Ganz ursprünglich sollte den Gästen bei solchen Treffen gezeigt werden, wie sich das Mädchen im Haushalt verhält. Ich musste bereits mit sechs wissen, wie Tee präsentiert und serviert wird. Die Tee-Zeremonie gibt allgemein Aufschluss darüber, wie ordentlich die Eltern eine Tochter erzogen haben. Es war jedes Mal so, als hätte man einen ungewollten Auftritt: Der Vorhang geht auf und du musst zeigen, was du drauf hast. Du musst nicht nur dich, sondern die gesamte Familie repräsentieren.

Hast du dich mal gewehrt?
Nein.

Weil?
Natürlich hat mich das total genervt. Doch für mich war es wichtig, meine Eltern nicht bloßzustellen. Also habe ich immer ganz brav mitgemacht. Vor allem bei den arrangierten Treffen vor der Verwandtschaft.

Verwandtschaft bedeutete somit Cousins und Onkel, die dich heiraten wollten?
Nein. Anträge kommen nur von Cousins und fernen Verwandten und niemals von Onkeln. Onkel sind wie Väter.

War es dir peinlich, Anträge von Cousins zu bekommen, da es in der deutschen Kultur unüblich ist, seine Verwandten zu heiraten?
Nein. Das war mir nicht peinlich, weil bei uns sowieso immer alles anders war.

Wie geht es dir heute?
Mein Doppelleben ist vorbei. Mir geht es richtig gut.

Meinst du, deine Eltern werden vielleicht bald bereit sein, deinen Freund zu treffen?
Mein Vater kommt dieses Wochenende nach Berlin und wird mit mir und meinem Freund in unserer gemeinsamen Wohnung schlafen. Sie werden sich dann zum ersten Mal kennenlernen.

Machst du dir Sorgen?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, es wird schön. Mein Vater spricht nicht ganz perfekt Deutsch. Ich hoffe, dass trotz der Sprachbarriere schöne Gespräche entstehen.

Juni 2016, Berlin