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Tess

Tess | 23 | Mitarbeiterin einer Animations-Firma in Manhattan

Auf L'OFFICIEL ONLINE:
Kurz mal über: Gerüche und Haare


Wie riecht New York für jemanden, der an der Upper West Side groß geworden ist?
Schon häufig nach dem beißenden Geruch von Urin. Im Sommer wie im Winter. Der hängt über der ganzen Stadt.

Wie oft färbst du deine Haare?
Oft. Ich habe schwarzes Haar. Ich muss alle sechs Wochen zum Nachfärben.

An deinen Beinen sieht man die schwarzen Haare noch. Hast du deine Beine jemals rasiert?
Mit Beginn der Pubertät hatte ich gleich sehr starken Haarwuchs. Irgendwann fiel mir auf, dass alle meine Freundinnen sich die Beine rasierten, nur ich nicht. Ich traute mich nicht, meine Mutter nach einem Rasierer zu fragen, bis sie es einfach von sich aus anbot. Da war ich 13 oder 14. Doch als ich aufs College kam, habe ich damit wieder aufgehört.

Warum das?
Ich bin auf ein sehr progressives und liberales College gegangen. Oberlin ist im Amerika bekannt dafür, dass man sich dort eher nicht rasiert.

Oberlin ist vor allem dafür bekannt, dass Lena Dunham dort studiert hat.
Stimmt, in Oberlin sehen viele aus wie Lena Dunham. Dort herrscht ein alternatives Schönheitsideal. Es gilt als selbstverständlich, Haare an allen Stellen zu haben, wo sie von Natur aus hingehören. Am Ende des ersten Semesters habe auch ich aufgehört, mich zu rasieren: erst unter den Achseln, dann an den Beinen. Gleichzeit habe ich begonnen, mich im Genitalbereich nicht mehr komplett zu entwachsen. Ich möchte da unten einfach nicht wie ein Kind aussehen.

Riechen die Alltags-Achseln mit Haaren anders als ohne?
Der Geruch ändert sich auf jeden Fall. Ich denke nicht, dass ich mehr oder weniger schwitze, aber der natürliche Körpergeruch ist jetzt anders. Nicht schlechter unbedingt. Anders.

Welcher Geruch begleitet dich bis heute?
Von meinem dritten Lebensjahr an bis zum High-School-Abschluss ging ich auf die Schule auf der anderen Straßenseite unseres Hauses auf der Upper West Side. Meine Eltern wohnen dort noch immer. Der gesamte Block ist bepflanzt mit Ginkgo-Bäumen. Ein Geruch, der mich an meine Kindheit erinnert, ist der von diesen zerquetschten kleinen Ginkgo-Beeren, die im Frühling massenweise von den Bäumen fallen. Ich habe diesen süßlich-gammligen Gestank bis heute in der Nase.

Wie riecht die Liebe?
Gerade ist es vielleicht der Geruch des Flanellhemdes, das ich heute dabei habe. Es gehört meinem Freund. Sein Geruch, sein Weichspüler, vertraut und schön.

Was macht dein Freund?
Er macht Filme, vor allem aber hat er einen grünen Daumen und besitzt ganz viele Pflanzen. Ich liebe den Geruch in seinem WG-Zimmer. Diesen Sommer mietet er eine Parzelle in einem öffentlichen Gemüsegarten und baut dort Biotomaten und Lavendel an.

August 2016, New York City